Make Tribalism Great Again
In Frederic Laloux’ „Reinventing Organizations“ steht sie ganz am Anfang der Entwicklung von Institutionen: die tribale Organisation. Ihr Merkmal? Macht als zentrales Organisationsprinzip, Loyalität als höchste Tugend und psychologische Unsicherheit als dominierendes Führungsinstrument. Das Interessante dabei: In Unternehmen gelten diese Prinzipien längst als toxisch. Ausser bei der Mafia – und bei Donald Trump.
Im Immobilien-Business, im TV-Business, im Politik-Busines: Trump hat in seiner Karriere Strukturen kultiviert, die lehrbuchhaft Laloux’ Beschreibung tribaler Organisationen entsprechen. Entscheidungen trifft nicht ein Team, sondern das Ego an der Spitze. Widerspruch wird nicht als Teil einer Debatte verstanden, sondern als Illoyalität geahndet. Und Wahrheit? Die ist ein flexibles Instrument im Dienst eigener Interessen. Dieser Führungsstil ist weder Management noch Leadership. Es ist Stammesführung: archaisch, autoritär – und kurzfristig sogar erfolgreich.
Die Tyrannei der Stärke
Tribal geführte Organisationen funktionieren nicht über Prozesse oder Entwicklung, sondern über informelle Machtachsen und die emotionale Nähe zum Führer. Was Edgar Schein als «kulturelle Grundannahmen» bezeichnet – tief verankerte Überzeugungen über Führung und Zugehörigkeit – zeigt sich hier als Gehorsamskultur. Vertrauen entsteht nicht durch Transparenz, sondern durch Loyalität. Reflexion weicht Wiederholung. Kontrolle wird zum Zwang.
Trumps Führungsstil verkörpert diese Mechanik fast schon idealtypisch: Wer lobt, wird belohnt. Wer widerspricht, fallengelassen – bevorzugt auf X und Truth Social. Kompetenz? Im besten Fall irrelevant, im schlimmsten Fall gefährlich. Denn wer eigenständig denkt, könnte abweichen. Und Abweichung stört das System.
Die Logik erinnert frappant an mafiöse Strukturen. Auch dort ist Zugehörigkeit kein institutionelles, sondern ein persönliches Verhältnis. Die Organisation ist kein funktionales System, sondern ein Clan. Verantwortung ist nicht rational, sondern relational. Man handelt nicht im Namen eines Amtes, sondern für den «Don». Wer dazugehört, geniesst Schutz. Wer illoyal erscheint, verliert alles – und das möglichst publikumswirksam.
Inszenierte Macht mit Social-Media-Soundtrack
Was diese Systeme stabilisiert, ist die grosse Inszenierung. Statussymbole und Überwältigung gehören daher zwingend zur Grundausstattung: der grosse Tisch im Trump Tower, das goldene Interieur, die Dauerbeschallung mit Superlativen – alles Ausdruck einer Führung, die nicht überzeugt, sondern überrollt. Es ist das Prinzip Mafia, nur mit Social-Media-Account statt Schalldämpfer.
Dass diese Organisationsform kaum zu New Work oder agiler Führung passt, liegt auf der Hand. Und doch: Mafiöse Organisationen sind ökonomisch verblüffend erfolgreich. So erwirtschaftet das organisierte Verbrechen in Italien jährlich über 130 Milliarden Euro – mehr als Nestlé oder Siemens. Warum also auf Soziokratie setzen, wenn auch archaische Gefolgschaft funktioniert?
Gute Führung braucht mehr als blinden Gehorsam
Weil archaische Führung zwar kurzfristig Macht stabilisiert, langfristig aber Verantwortung, Kreativität und Wandel blockiert. Genau deshalb haben Kirchenväter, Feldherren und preussische Beamte die klassische Hierarchie erfunden. Und genau darum setzten NASA-Ingenieure in den 1960er-Jahren im Apollo-Programm auf die Matrixorganisation.
Die klassische Hierarchie – typisch für Militär, Verwaltung oder Kirche – überzeugt durch klare Rollen, Prozesssicherheit und hohe Effizienz. Sie funktioniert dort, wo Stabilität und Vorhersagbarkeit gefragt sind.
Die Matrixorganisation – etwa bei Airbus, Procter & Gamble oder dem Roten Kreuz – ist komplexer, aber dynamischer. Sie ermöglicht es, Funktionen, Regionen und Projekte gleichzeitig zu steuern – und damit komplexe Systeme im Gleichgewicht zu halten.
Der springende Punkt: Beide Modelle beruhen auf Transparenz, Verantwortung und überprüfbarer Leistung. Nicht auf Gefolgschaft. Und schon gar nicht auf Angst.
Warum das Rudel irgendwann scheitert
Der grosse Nachteil des tribalen Modells? Es ist langfristig instabil.
Es erzeugt Zusammenhalt – aber nur durch Abgrenzung.
Es schafft Tempo – aber keine Richtung.
Es belohnt Loyalität – aber verhindert Selbstverantwortung.
Und es produziert parasitäres Wachstum – bis alles implodiert, niemand Verantwortung übernimmt und verbrannte Strukturen zurückbleiben.
Dem gegenüber stehen Organisationen, die auf Vertrauen, Partizipation und Sinn bauen. Sie funktionieren nicht durch Gehorsam, sondern durch Mitgestaltung. Sie fördern Innovation nicht durch Druck, sondern durch psychologische Sicherheit. Und sie wachsen nicht auf Kosten anderer, sondern im Dialog mit ihrer Umwelt.
Und Trump?
Trump steht für das pure Gegenteil. Er lebt eine tribalistische Führungsform, wie sie archaischer kaum sein könnte. Er zeigt, wie man ein ganzes Land wie ein Rudel organisiert – mit klarer Rangordnung, ritualisierter Loyalität und systematischer Ausgrenzung. Das Ergebnis: eine toxische Kultur, in der Misstrauen, Selbstzensur und permanente Polarisierung regieren. Doch wie bei jedem Rudel beginnt der Niedergang, sobald der Alpha schwächelt. Denn Macht, die nur auf Gefolgschaft beruht, ist endlich.
Oder, um es in Mafiasprache zu sagen: Solange der Don stark ist, läuft das Geschäft. Aber wehe, er verliert den Respekt seiner Meute – dann wird das System zur Farce und der Clan zur Episode.